K. Bergdolt u.a. (Hrsg.): Sebastian Brant und die Kommunikationskultur

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Titel
Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500.


Herausgeber
Bergdolt, Klaus; Joachim, Knape; Anton, Schindling; Gerrit, Walther
Reihe
Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 26
Erschienen
Wiesbaden 2010: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
427 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Antje Foresta

Anlässlich des 550. Geburtstags Sebastian Brants (geb. 1457) veranstaltete das Renaissance-Komitee der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel 2007 eine Tagung zum Thema «Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500», deren Beiträge jetzt im hier vorzustellenden Sammelband gedruckt vorliegen. Der Fokus der Beiträge sollte laut Vorwort der Herausgeber auf die Kommunikations- und Medienkultur der Zeit um 1500 gerichtet sein und eine Doppelperspektive einnehmen: Die Vielfalt der von Brant behandelten Themen sollte ebenso deutlich werden wie die «interaktive Verflechtung der Humanisten seiner Generation unter den Bedingungen der entstehenden Gutenbergkultur» (Vorwort, S. 11). Die Tagung hatte dazu fünf Sektionen gebildet, nämlich «Moralismus und religiöse Verkündung», «Imagebildung und Regionalismus», «Jus und Druckgeschichte», «Wort und Bild» sowie «Humanismus und Druckgeschichte ». Diese Einteilung, die verschiedene Aspekte von Kommunikationskultur betont, fand keinen Eingang in den Tagungsband. Im Buch werden die Beiträge unter zwei Überschriften zusammengefasst: «Brant in Diskursen und Kommunikationszusammenhängen um 1500» und «Brants Narrenschiff». Damit spiegelt sich die nach wie vor stark auf das «Narrenschiff» fokussierte Forschungssituation wider, denn in der Tat beziehen sich sechs der insgesamt vierzehn Beiträge auf Brants «Narrenschiff»; die übrigen acht Beiträge verteilen sich auf die Themenfelder Medizin, Recht, Dichtung, Politik und Beziehungen zu anderen Humanisten.

Dass Sebastian Brant ein «publizistisch unglaublich aktiver Mann» und eine «Schlüsselfigur in den Diskursen und Kommunikationszusammenhängen der Epoche» (Einleitung, S.13) war, zeigt bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis, das mit einem Beitrag zu Brant und der Welt der Medizin beginnt, ein Gegenstand, der bis dahin noch kaum in den Blick genommen wurde. Der Kölner Medizinhistoriker Klaus Bergdolt arbeitet heraus, dass Brants Ansichten im Vergleich zu seinen Zeitgenossen nicht aus dem Rahmen fallen: Ärztlicher Rat sei nicht zu verschmähen, da Gott auch die Medizin geschaffen habe, aber das wahre «Remedium» sei der philosophische Weg zur «Sapientia», die wiederum Voraussetzung für echte «Salus» sei. Der Beitrag von Uwe Israel (Venedig) beleuchtet die Biographien Sebastian Brants und des Strassburger Münsterpredigers Geiler von Kaysersberg. Trotz zahlreicher Parallelen in den beiden Lebenswegen zeigt sich deutlich, dass Brant seine Macht und die ihm zur Verfügung stehenden publizistischen Mittel, allen voran den Buchdruck, nutzte, um auf Reichsebene zu kommunizieren und in einen öffentlichen Dialog mit der Führungselite zu treten, während Geiler von Kaysersberg seine Öffentlichkeit in der Reichsstadt Strassburg suchte und fand und dabei vor allem auf Mündlichkeit setzte. Beide Autoren waren universitär gebildet, als Herausgeber tätig und an Bildung und Erziehung interessiert, wählten aber ganz unterschiedliche Kanäle und Zielgruppen zur Übermittlung ihrer Interessen. Andreas Deutsch (Heidelberg) beweist entgegen der weit verbreiteten Ansicht, Sebastian Brant sei Herausgeber oder gar Verfasser beziehungsweise Bearbeiter von Ulrich Tenglers «Laienspiegel» gewesen, dass sich sein Beitrag letztendlich auf die Vorrede in der ersten Augsburger Ausgabe von 1509 beschränkte und er damit dem bis dahin weitgehend unbekannten Ulrich Tengler eine Art Empfehlungsschreiben für sein Werk zukommen liess. Interessant für die Kommunikationskultur ist die damals bereits verbreitete Unsitte des Raubdruckes und somit der Beginn von Fragen des Urheberrechts beziehungsweise zunächst der Folgen seiner (noch) Nichtanerkennung. Gleichermassen rückt Deutsch Brants Anteil an der Ausgabe des «Klagspiegels» zurecht, der geringer anzusehen ist als kolportiert wird. Dennoch kam an dem Juristen Brant damals keiner vorbei, der einem juristischen Werk zu Ansehen verhelfen wollte, denn Brants Empfehlung plazierte das Werk auf dem Markt. Thomas Wilhelmi (Heidelberg) gewährt einen Blick in die Strassburger Archivtruhen und erhellt Brants Tätigkeit als Stadtschreiber; Jürgen Leonhardt (Tübingen) zeigt anhand einer Sammelhandschrift aus Brants Besitz, inwieweit eine glossierte Textsammlung Rückschlüsse auf die Verbindungen zu einem Gelehrtenmilieu und Studienumfeld erlaubt und auf welche Weise damals Wissen erworben und bewahrt wurde. Nikolaus Henkel (Hamburg) arbeitet anhand der Brantschen Vergilausgabe von 1502 heraus, dass Brant auf Text- und Bildebene Verschiedenes kommuniziert: Er druckt die «Carmina Priapea», die in älteren Ausgaben meist enthalten sind, aufgrund ihrer moralischen Verwerflichkeit zwar nicht ab und weist darauf auch eigens hin, kommuniziert deren Inhalt aber detailreich über einen Holzschnitt. Dieter Mertens (Freiburg) verknüpft die literarische Schöpfung Brants mit seiner zeitgeschichtlichen Erfahrung, die vor allem von der Ausbreitung des osmanischen Reichs, dem – nie stattfindenden – Türkenkrieg, den Konflikten zwischen König und Reichsständen und dem Hegemoniekampf zwischen den Häusern Habsburg und Valois-Orléans geprägt waren. Brant macht sich dabei geschickt das neue Medium Buchdruck zunutze, um die Reichsstände, Räte, Fürsten und städtischen Kanzleien für die Politik Maximilians I. zu gewinnen. Mertens, dessen Beitrag einer der längsten des Sammelbandes ist, entwirft ein beeindruckendes Panorama. Caspar Hirschi (Cambridge) behandelt in seinem verdienstvollen Beitrag Brants Rolle in der Eidgenossendebatte, die er aufgrund der spärlichen schriftlichen Äusserungen des Humanisten über die Untersuchung seines kommunikativen Umfelds, seines Status und der Inhalte der Begriffe honor und natio in Angriff nimmt und dabei das schon mehrfach abgehandelte Thema einen grossen Schritt nach vorne bringt. Joachim Knape (Tübingen) analysiert Brants «Narrenschiff»-Kapitel «Von vnnutzen buchern» nach verschiedenen Lesarten: poetisch, rhetorisch und aktualisierend. Er erhellt auf diesem Weg die verschiedenen Kommunikationsebenen von Brants dichterischem Meisterwerk auch mit Blick auf den heutigen Leser. Volkhard Wels (Berlin) sieht in Brants «Narrenschiff» in erster Linie eine Sammlung von Argumenten und in der Struktur der Kapitel eine mnemotechnische Ordnung und stellt das Werk daher in die Tradition von Rudolf Agricolas «De formando studio» und insgesamt in den Kontext der humanistischen Dialektik. Dieter Wuttke (Bamberg) weist auf einen möglichen Lese- und damit Druckfehler in einem Versschluss hin und auf die damit verbundene fehlgeleitete Kommunikation zwischen Text und Leser. Frédéric Hartweg (Oberhausbergen) führt durch das frühneuzeitliche Drucker- und Verlagswesen und beschreibt die Diskussion über den Einfluss des Buchdrucks auf das Abschleifen örtlicher Sprachunterschiede. Zugleich analysiert Hartweg detailliert Laut- und Wortunterschiede in den Basler und Nürnberger «Narrenschiff»-Drucken. Lothar Schmitt (Zürich) stellt einen Vergleich zwischen den Zeichnungen aus Dürers Wanderjahren und den Basler Holzschnitten an und schlägt eine systematische Analyse sowohl der Jugendwerke Dürers als auch der Narrenschiffholzschnitte und des Arbeitsumfelds in den Basler Offizinen vor, um in der Diskussion über Dürers mögliche Beteiligung weiterkommen zu können. Dazu bietet Schmitt eine Konkordanz der «Narrenschiff»-Bebilderung von 1494 bis 1520, die das noch bestehende Forschungspotential aufzeigen.
Alles in allem umfasst der Sammelband Studien, die zum Teil punktuell in die Tiefe gehen, zum Teil den Autor Brant und seine Werke in einen breiten Kontext stellen. Beides ist gleichermassen verdienstvoll. In dem vorliegenden Buch sind die Ergebnisse der Brant-Forschung der letzten Jahre substantiell zusammengefasst, die humanistische Lebenswelt um 1500 wurde weiter ausgeleuchtet. Daher kann man das im Vorwort gegebene Versprechen als eingelöst betrachten.

Zitierweise:
Antje Foresta: Rezension zu: Klaus Bergdolt, Joachim Knape, Anton Schindling, Gerrit Walther (Hg.): Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500. Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 365-367

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 365-367

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